Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Die namenlosen Genies


Ein Glück, dass die Menschheit in Bezug auf den Fortschritt nicht auf mich angewiesen war. Hätte ich bei einer Wanderung Eisenerz gefunden, wäre mir nicht mal im Traum eingefallen, daraus was Brauchbares zu machen. Höchstens hätte ich den schmutzigen Klumpen mit dem Fuß vor mir hergestoßen und dabei gedacht: "Was soll man damit schon anfangen!" Die Vorstellung, das Zeug zu schmelzen und daraus einen Kochtopf herzustellen, wäre mir nie gekommen. Genauso wäre es mir beim Finden eines Goldklumpens gegangen. Den hätte ich auch mit Füßen getreten.  

Zum Glück gibt's "Weitsichtigere" auf dieser Welt. Genies. Keine Zeitgenossen - denn die Leute, die ich meine, lebten schon vor achttausend Jahren in Höhlen. In  Puncto Eisen- oder Goldgewinnung aber waren sie uns weit voraus. Ihre Pfeilspitzen waren die Grundlagen für das, was wir "Modernen" nur noch weiter entwickeln mussten. Autos zum Beispiel, Stahlbrücken oder Nähnadeln. Großartig - aber nicht wir, unsere Vorläufer hätten den Nobelpreis verdient.

Ähnlich beim Brot. Wenn mir - sagen wir mal - ein Weizenhalm vor die Augen gekommen wäre, hätte ich ihn angesehen, vielleicht am Stengel geknabbert, zwei Körner gekostet und gesagt: "Das Zeug schmeckt nicht." Nie im Leben wäre mir eingefallen, dass man die Körner statt zwischen den Zähnen auch zwischen zwei flachen Steinen zu Mehl mahlen und mit Salz und Wasser vermengt zu Brot backen könnte. So ist auch "der Erfinder des Brotes" nobelpreisverdächtig, bleibt aber im Dunkel der Geschichte unbekannt.

Besser haben es die modernen Genies. Einstein oder Newton zum Beispiel. Einstein erhielt den Nobelpreis zu recht, Newton hätte ihn auch verdient, doch zu seiner Zeit gab es ihn noch nicht. Aber eigentlich wussten wir auch ohne die Kenntnis von Newtons Gravitationsgesetz, dass Äpfel immer nach unten fallen. Und - falls man Einsteins Überlegungen überhaupt verstanden hat - wird man erkennen, dass auch seine Relativitätstheorie die Herstellung des Brotteigs nicht erleichtert hat. Doch der Knethaken von der Backmaschine schaffte das! Über dessen Erfinder aber spricht kein Mensch. Und auch nicht vom Erfinder des Glases. Sicher war es Zufall, dass irgendwas zufällig Zusammengemischtes beim Erhitzen schmolz und beim Erstarren zu Glas wurde. Aber der steinzeitliche Bursche, der das beobachtete, hatte Grips im Kopf! Er könnte gesagt haben: "Junge Junge. Hab ich ein Glück. Das ist ja Glas, daraus kann ich was machen. Glaskugeln zum Beispiel, für's Tauschgeschäft."

Wer der begabte Kopf war, der auf den Einfall kam, zwei geschärfte Klingen in der Mitte durch eine Schraube zu verbinden und damit die erste Schere zu machen, ist unbekannt. Aber nicht der, der das erste Schnittmuster für eine Hose entworfen hat! Er lebte in den USA. Wie aber aus verfilzter, gesponnener Schafwolle durch ein Schnittmuster eine Hose wird - die sogar passt - werde ich nie begreifen. Ginge es nach mir, liefen wir heute noch in Decken gewickelt herum.

Die Erfinder von Dampfmaschine, Flugzeug, oder Nähmaschine oder Rollator waren ohne Zweifel pfiffige Leute. Doch im Grunde hatten sie es leicht, denn das Grundlegende, das Schwerste, hatten schon andere vor ihnen erfunden. Beispiel Einstein. Kleidung, Häuserbau und Essenkochen hatten sich schon andere Leute ausgedacht. Papier und Bleistift gab's auch schon. Also brauchte Einstein nur noch sein Zimmer einheizen, sich auf einen bequemen Stuhl setzen, nachdenken und seine weltbekannte Formel E = mc/2 auf einen Zettel schreiben. Fertig.

Ich sage nicht dass ich das gekonnt hätte, aber mal ganz nüchtern: Was ist schon Einsteins Weltformel gegen die Erfindung duftenden, knusprigen Butterbrotes!? 

 
 
 
E-Mail
Anruf