Als ich vor kurzem die Schublade meines Nachtschrankes ausräumte, um Platz für neue Socken zu schaffen, fiel mir ein Stoß vergessene, aus Papier gefertigter Kostbarkeiten in die Hände. Bilder, Texte und ausgeschnittene Herzen meiner Kinder, die sie mir vor Jahrzehnten zum Vatertag mit strahlenden Augen und der unausgesprochenen Frage: "Gefällt es Dir?", geschenkt hatten. Mir gefiel alles und am nächsten Tag pinnte ich die kleinen Kunstwerke an eine Wand meines Büros. Später legte ich sie zur Aufbewahrung in den Nachtschrank - und vergaß sie, als die heranwachsenden Kinder mit dem "Bilderverschenken" aufhörten.
Nichts wird wirklich vergessen. Denn als ich die Bilder auf der Bettkante sitzend mit langen Pausen des Nach- und zurück Denkens betrachtete, wurde vor meinem inneren Auge die Zeit meines "Mittelalters", das meiner Frau und die meiner Kinder wieder lebendig. Jedes Bild, jedes ausgeschnittene Herz und jedes Gedicht spiegelte eine bestimmte Entwicklung im Leben meiner Kinder wieder - und auch von mir. Ganz unerwartet lösen manchmal selbst die unbedeutendsten Kleinigkeiten der Gegenwart - wie die "meiner neuen Socken" - die schönsten und buntesten Erinnerungen an die Vergangenheit aus und führen uns zurück in eine Zeit, in der vieles anders, beständiger, aber letztlich genauso im Fluss war wie heute.
Es war es eine turbulente Zeit. Als Selbständiger mit Freizeit nicht verwöhnt, dachte ich in jungen Jahren nur ganz selten - aber mit zunehmendem Alter immer häufiger - schon bei der Fahrt ins Büro: "Das kann doch nicht alles sein, was das Leben zu bieten hat." Dann erschienen vor meinem inneren Auge verführerische Bilder von Palmen, von ewiger Sonne über weißen Sandstränden am tiefblauen Meer und vom "nicht ins Büro fahren zu müssen." Doch kaum erreichte ich meine gewohnte Wirkungsstätte, wurden diese Hirngespinste weggewischt vom geschäftlichen Alltag - der ein stetes und unaufhörliches Entscheidungen treffen und telefonieren war. Alles drehte sich ums Geschäft, um die Beschaffung von Aufträgen und Waren, um Umsätze und über allem stand, alles am Laufen und Leben zu erhalten.
Meine Frau dachte ähnlich und war mir unverzichtbare Stütze und auch meine Kinder - als sie älter wurden - kannten gar nichts anderes, als auch am Wochenende - einfach aus Spaß an der Sache - mitzuarbeiten.
Und trotzdem: Beim Betrachten der auf Bett und Fußboden ausgebreiteten, zu Papier gewordenen Erinnerungen, fragte ich mich, was meine Kinder wirklich dazu gebracht haben könnte, mir so viel Aufmerksamkeit am Vatertag zu schenken.
Um die anspruchsvolle Rolle als Vater wirklich auszufüllen - glaube ich - fehlte mir die Zeit. Kaum wahrgenommen und schon gar nicht wirklich erlebt, riss sie mich mit wie ein reißender Strom. Mir war das klar, doch der Beruf ließ mir keine andere Chance, als genau so zu handeln. Doch nächste Woche zum Vatertag mache ICH meinen Kindern ein Geschenk. Dann klebe ich die wiederentdeckten kindlich-künstlerischen Kostbarkeiten auf ein großes Plakat. Mit Jahreszahlen versehen, erwecken sie ganz sicher auch bei meinen Kindern - die heute selbst Eltern fast erwachsener Kinder sind und in ihren Beruf ebenso eingespannt sind wie ich damals - eigene Erinnerung an eine unbeschwerte Zeit, in der ihr nur selten sichtbarer Vater dennoch auf wundersame Weise Bestandteil ihres Leben war und für den es sich lohnte, zum Vatertag liebevoll Bilder zu malen, kleine Gedichte aufzuschreiben und farbige Pappherzen auszuschneiden.
"Wenn ein Maulwurfsweibchen in eine Falle gerät, passiert es oft, dass das Männchen vor lauter Sorge um sie verhungert", las mir meine Frau aus ihrer Illustrierten vor. Ich sah fragend auf.
"Na und, was willst Du damit sagen?"
"Ich meine damit", fuhr sie fort, die Maulwürfe ähneln den Männern in verblüffender Weise. Männer sind wie die Maulwurfmännchen zu Hilflosigkeit und zum Untergang verurteilt, falls ihre bessere Hälfte mal irgendwo feststeckt oder krank wird.
Ich grinste und meinte:
"Er ist ein lieber Maulwurf und anhänglich bis zum Tod. Typisch männlich, und denkt nicht im Traum daran, die neue Freiheit zu nutzen und mit der Nachbarin durchzubrennen. Nein, er bleibt ihr treu und grämt sich über ihr Schicksal so lange, bis er selbst vom Tode dahingerafft wird.
"Du irrst", antwortete sie. "Ich habe nicht gesagt, er grämt sich. Ich sagte, er ist besorgt. Besorgt darüber, wer ihm seine nächste Mahlzeit beschaffen wird. Nicht sein Weibchen sitzt für ihn in der Falle, sondern seine Körnerbeschafferin. Darin sind alle Männer gleich. Die Sorge der Männer erschöpft sich darin, wer ihnen die nächste Mahlzeit zubereitet, wenn ihre Frau verhindert wäre.
"Unsinn", sagte ich, aber sie fuhr fort: "Männer wissen genau, das sie erledigt sind, sobald die Vorräte im Haus - Brot und Doppelkorn - aufgebraucht sind. Männer verhungern nicht vor Kummer. Männer verhungern, weil sie meist nicht kochen können, weil sie nicht wissen wo was ist und ganz allgemein von Haushalt keine Ahnung haben. Erinnerst du dich, als du letzte Woche..."
Ich unterbrach sie. "Hör auf. Fehler macht jeder mal. Woher soll ich wissen, wie viel Wasser zum Kochen in die Kartoffeln gehört und das dem Topfboden vor Schreck gleich der Boden krumm wird, wenn zu wenig Wasser drin ist?"
Ich schwieg. Aber ich nahm mir vor, eine heimliche Forschungsreise durch Küche und Haushalt zu starten, um ihre häufigste Bemerkungen "Männer finden nie etwas" und "sie können nicht kochen" mit großartiger Geste widerlegen zu können. Die Gelegenheit kam, als sie morgens um sieben zum Frisör ging. Ich untersuchte die Küche und war bestürzt darüber, dass ein normaler Mann in seiner eigenen Küche rettungslos verloren sein muss. Die Fächer mit den Gläsern, Tellern und Tassen waren übersichtlich, aber die Schubladen mit dem vielen Kleinkram verwirrten mich. Und dann die Fächer mit den Schalen, Streichhölzern, Puddingpulver, Schlafteesorten, Butterbrotpapier und Küchengeräten, die ich noch nie gesehen hatte.
Zum Beispiel den glänzenden Dosenöffner. Den testete ich an einer Dose Ananas. Der Dosenöffner verbog sich, die Dose auch und blieb bis auf ein kleines Loch verschlossen. Ich löste das Problem in der Werkstatt, süßer Saft verschmutzte mir das Hemd und mir dämmerte, meine Frau schien recht zu haben mit ihrer Behauptung, Männer verhungern, weil sie den Haushalt nicht beherrschen.
Die Zeit wurde knapp. Den Platz für Kaffeepulver, Tassen und Bestecke kannte ich nun. Ich unterbrach meine Forschungen und kochte Kaffee. Die Frühstückseier legte ich in die Mikrowelle und dann fand ich ihre seit langem vermisste Lesebrille.
Sie kam pünktlich zurück. Triumphierend hielt ich ihre Brille hoch. "Erinnerst Du dich an das Maulwurfmännchen", stichelte ich, "Männer finden nie etwas, und was ist das?" Da explodierten die Eier in der Mikrowelle.
"Ja" klang es aufreizend ruhig, "Männer verhungern, weil sie nicht mal Eier kochen können, und weil sie sich wichtig tun, wenn sie zufällig was gefunden haben."